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Als Kind wollte ich eigentlich so etwas wie Schneiderin oder Modedesignerin werden. Familiären Gerüchten zufolge hatte ich schon früh eine sehr eigene Vorstellung von Stil und weigerte mich daher bereits als Dreikäsehoch, die Sachen anzuziehen, die meine Mutter mir morgens rauslegte. Im Kindergartenalter entwickelte ich den ersten High Heel, indem ich Bauklötze unter meine blauen Sandalen klebte. Und meine eigenen Klamotten stellte ich mit dem her, was das Kinderzimmer hergab: Tacker und Klebetube. Trotzdem verlief mein beruflicher Weg zur LernRAUM-Gründerin dann doch ganz anders: Voila, hier sind die Stationen meines kreativen Lebenslaufs.

1. Sommer ’77: Hallo Hürden – here I come! Als ich mit etlichen Nabelschnurumdrehungen auf die Welt drängte, erblickte ich wegen Überfüllung des Krankenhauses in einer Abstellkammer statt im Kreißsaal das Tageslicht. Um dann auch noch in einem bereits belegten Bettchen der Neugeborenen-Station in die Besucherritze gestopft zu werden. Ich frage mich tatsächlich, ob mir eine gewisse Empörung über die Missstände dieser Welt, die es einem oft schwer machen, den eigenen Platz zu finden, nicht schon seitdem anhaftet und mir damit vielleicht die Suche nach Lösungen schon in die Wiege – oder besser: Besucherritze – gelegt wurde.

2. Familienausflug ’79: Fasziniert von Sprache. Auch an diese frühe Geschichte, die meine Eltern erzählen, kann ich mich natürlich nicht selbst erinnern, aber mir scheint, sie war ein erster zentraler Hinweis auf meine spätere Tätigkeit: Die Familie spaziert durch den Wald mit dem jüngsten Spross im Buggy, die munter vor sich hin babbelt – und als eine tutende Eisenbahn am Fußgängerüberweg durchtuckert, ruft sie ganz aufgeregt so etwa sie: „Da! Loto – komo – totive!“ Alle umstehenden Fußgänger sind entzückt und schütteln sich vor Lachen.

Die stolzen Eltern bitten: „Komm, Annette, sag das doch nochmal!“ Daraufhin verfinstert sich ihr Blick, sie zieht die Stirn kraus und guckt in Ruhe einmal in die Runde. Dann skandiert sie laut und deutlich: Ei-sen-bahn. Ich würde zu gern behaupten, dass ich seitdem wusste, wie kontern geht. Sicher bin ich mir nur darüber, dass ich spürte, welche Macht Worte haben können.

3. Mittagszeiten ab ’83: Im Labor der Lebensgeschichten. Was habe ich mit Angela Merkel, Hermann Hesse und Alice Cooper gemeinsam? Wir sind an einem Ort aufgewachsen, der in der Geschichte oft als Hort der Bildung und des Engagements beschrieben wurde – und der angeblich entweder „zum Terroristen oder zur Bundeskanzlerin macht“, wie Benjamin von Stuckrad-Barre mal pointiert behauptet hat: dem evangelischen Pastorenhaushalt.

Meine Eltern nahmen jedenfalls das Ding mit der Nächstenliebe so ernst, dass wir mittags immer irgendeinen zerzauster Gast am Tisch hatten, der grad ein offenes Ohr für seinen seelischen Schmerz brauchte. Zum Dessert war dann meist die gesamte Lebensgeschichte erzählt. Für mich waren diese Momente viel spannender als der Vormittag in der Schule: Ich hörte still zu, beobachtete, suchte Zusammenhänge, fand Muster und sammelte Fragen zu Krisen, Persönlichkeit und Sinnsuche.

4. Die Jahre ’85-’89: Von Tod, Teufel und Tagebüchern. Diese Zeit war sehr, sehr dunkel. Meine Mutter erkrankte an derselben Krankheit, an der gerade mein Großvater gestorben war. Parallel dazu brach in der Kirchengemeinde meines Vaters eine sehr unheilige Zeit des göttlichen Bodenpersonals an, in der sich mein bisheriges Bullerbü in die Mobbinghölle auf Erden verwandelte. Ich fand selbst, dass das in Summe ein bisschen viel Krise für ein kleines Mädchen war – und fing an zu schreiben.

Auch hier würde ich zu gern behaupten, dass ich es war, die dadurch die heilsame Macht des Journal Writings entdeckte und eine internationale Bewegung initiierte. Aber in meinen Tagebüchern verschaffte ich einfach nur meinem Herzen Luft zu so kindlichen Themen wie Drama, Leid und dem Sinn des Ganzen.

5. Oktober ’92: Umzug in eine andere Umlaufbahn. Wir zogen als Familie aus einer norddeutschen Stadt in ein süddeutsches Dorf. Mein Atlas versicherte mir, dass das noch Heimatland sein sollte, aber mir war nach zwei Wochen klar, dass ich mich in Schweden heimischer gefühlt hätte. Ganz nach dem Motto „ich hab schon Schlimmeres erlebt“ und „Was mich nicht umbringt, macht mich stark“, stellte ich mich dem Kulturschock in Sachen Humor, Sprache, Horizont und Weltbild. Dabei fand ich wenige, aber wahnsinnig wunderbare Menschen (MiHo und Jasmin: from the heart!), die mir beim Überleben halfen.

Und während ich wie der Pinguin in der Wüste mit meinen neuen Klassenkameraden aufs Abi zusteuerte, kam mir eine überraschende Erkenntnis: Lernen war cool! Nicht unbedingt das Tagesprogramm, aber der Prozess: Erst stand man wie an der Grenze zu einem unbekannten Land, aber dann konnte man mit der unterrichtlichen Straßenkarte in der Hand eine Menge entdecken. Wie Abenteuerurlaub im Kopf – super! Nicht, dass das zwangsläufig überall und keinesfalls in Mathe zu besonders tollen Noten geführt hätte, aber ich hatte Blut geleckt und war seitdem der geistigen und persönlichen Weiterentwicklung verfallen.

6. Mai ’96: Abenteuer Berufsentscheidung. Jetzt hatte ich das Abi – und dazu null Ahnung, was tun. Die Fächer, dich ich wirklich gern mochte, galten entweder zuhause als „brotlose Kunst“ oder produzierten schon viel zu viele Studierende ohne Ziel: Kunst, Musik, Sport und Deutsch. Und während ich Ideen verwarf wie Schneiderlehre machen (… kann man damit in Zukunft noch Geld verdienen?) und Journalismus studieren (… Hilfe, dafür muss man sich doch für Politik interessieren, glaub ich), war ich mir aber beim Wo sehr sicher: im Norden! Nach dem Ausschlussprinzip blieb dann irgendwas mit Deutsch übrig. Meine Lieblingslehrerin riet mir zu Lehramt, damit ich nicht als brotlose Germanistin Taxi fahren musste, und ich tat genau das. Ab dem Herbstsemester ’97 studierte ich in Kiel gymnasiales Lehramt für Deutsch (aus Liebe) und Erdkunde (keine Ahnung wieso).

Die Studienzeit war ein Fest. Aber mich ließ die Frage nicht los, ob der Berufsalltag am Ende wirklich zu mir passen würde. „Wird schon“, redete ich mir ein, „schließlich magst du Deutsch und Lernen an sich.“ Falsche Hoffnung, wie sich später rausstellen sollte … Dafür führte sie dazu, dass ich im LernRAUM unter anderem genau die professionelle Berufsberatung anbieten kann, die ich selber gebraucht hätte. Mit der Qualität der eigenen Umweg-Erfahrung.

7. Juli 2003: Testphase Text. Aber in den Hörsälen neben den ganzen Literatur- und Germanistikstudierenden, die alle in die Medien wollten, ließ sich meine Lust auf Journalismus und die Liebe zum Schreiben nicht mehr ignorieren. Mehr genervt von meiner inneren Zerrissenheit als motiviert beschloss ich: ´“So geht das nicht, ich muss es rausfinden. Wenn nicht jetzt, dann bereue ich das mein Leben lang.“ Also machte ich die Uni fertig und schickte eine einzige Bewerbung für ein einjähriges Volontariat an ein kleines Verlagshaus im Ruhrgebiet. Ich wurde prompt angenommen und fühlte mich in der Redaktion wie der Fisch im Wasser. Aber ich wusste: Danach wartet ja noch das Referendariat, die praktische Ausbildung fürs Lehramt. Und was man angefangen hat, macht man schließlich zu Ende – oder?

8. August 2004: Horrortrip mit perfekter Inszenierung. Als Schülerin fühlte ich mich selten gestresst. Dafür war ich das als sogenannte LiA , Lehrerin in Ausbildung, in den folgen zwei Horrortrip-Jahren permanent. Dieses Lehramt-Ref, in denen man von Tag 1 an das sein sollte, was man erst nach 2 Jahren Ausbildung annähernd können konnte, gepaart mit der permanenten Beobachtung und Bewertung, waren schon schlimm genug. Aber ich merkte zusätzlich, dass meine Sorge aus dem Studium wahr wurde: Der Alltag war nix für mich.

Als Reizseismograph mit sehr vielen Antennen für die Infos aus meinem Umfeld war ich in der sozialen Informationsflut im 45-Minuten-Takt innerlich schlichtweg am Durchdrehen. Da nützte es auch nix, dass ich geliebt und gefeiert wurde, die fantastischste Mentorin des Universums hatte (Marion, mein Dank auf ewig!) und ein 2. Staatsexamen hinlegte, das mir staatliche Auszeichnung und Applaus bescherte. Alles galt in Wahrheit Marion und ich fühlte mich furchtbar. Wie ein Pinguin in der Wüste eben. Mal wieder. Und weil ich wusste, dass das auf Dauer nicht gut gehen würde, war die Entscheidung schon gefallen: Ich brauchte einen anderen Job.

9. Sommer 2006: Rettung Redaktionsleitung. Da war es ein Geschenk des Himmels, als noch vor Schuljahresende beim Starren auf den zu korrigierenden Stapel von 80  Deutsch-Klausuren meiner Oberstufenkurse plötzlich das Telefon klingelte und mir der Verlag, in dem ich das Volontariat gemacht hatte, einen Job als Redaktionsleitung für ein Jugendmagazin anbot. Ich sagte sofort zu, enttäuschte Lehrerkollegium und Bildungsministerium und zog ein Jahr später zurück in den wilden Westen. Ich liebte meine Tätigkeiten, die Themen und mein Team. Ein Traum von Job, der meine planerische und schreibende Seite verband und mir zusätzlich die Möglichkeit gab, als Lektorin, Herausgeberin und dann sogar als Autorin zu arbeiten.

10. April 2011: Mein erstes Buch. Während andere in meinem Umfeld die ersten Kinder bekamen, erblickte in diesem Jahr mein erstes Buch Gefällt mir das Licht der Welt. Wobei ich eigentlich fand, dass es kein echtes Buch war. Denn ich meinem vergriffenen Debüt – eine Art Workbook zur Selbstreflexion, die ich für lebensverbessernd halte – waren lauter leere Listen, die die Leser:innen auszufüllen hatten. Ich fühlte mich ein bisschen als Mogel-Autorin und halbgare Schriftstellerin für Faule. Ich nahm mich also gar nicht ernst, hatte dafür aber ungemein Spaß. Denn in diesem Buch schien so viel von meiner DNA zusammenzukommen wie nie zuvor: meine Liebe zu Sprache und Schreiben, meine Laborstudien zu Lebensmustern und Sinnfragen, meine Freude an persönlicher Weiterentwicklung.   

11. November 2013: Zurück in die Zukunft. Nach 7 Jahren Traumjob hatte ich viel gesehen und gelernt und spürte, es ist Zeit für was Neues. Zudem ließ sich mein favorisiertes Langzeit-Lebenskonzept, das ich mit dem wundervollen Wort „Heimatstrand“ verband, schlecht im Ruhegebiet verwirklichen. Also zurück in die Zukunft, nach Lübeck. Herrlich. Nur: Was genau dort tun? Ich schrieb Listen mit meinen arbeitsbiografischen Kompetenzen und Vorlieben (Sprache, Schreiben, Menschenführung, Einzelgespräche, konzeptionelles Arbeiten, Lernen etc) und befragte Gott und Google, welcher mir unbekannte Job sich in einer möglichen Schnittmenge wohl verbergen mochte. Die Antwort kam recht prompt: Lerncoach in eigener Praxis. Ich absolvierte die dafür nötigen Zusatzqualifikationen und machte mich selbstständig.

12. März 2014: Pionierstart Lerncoaching-Praxis.  Zu der Zeit war zwar jedem klar, was Nachhilfe ist – aber Lerncoaching? Noch nicht so. Das Lernen lernen? Innere Blockaden erkennen und überwinden? Den ganzen Selbstwert-Mindset-Motivations-Visionskram wie für Manager etwa jetzt für Jugendliche? Jawohl. Das war zwar sehr viel Aufklärungsarbeit zum Start. Aber ich wusste, dass der Bedarf an externer Begleitung durch den Hindernislauf unseres Bildungssystems rund um Lernen, Abschluss und Zukunft eher mehr als weniger werden würde. Und ich freute mich natürlich riesig, als meine Idee dann auch erwartungsgemäß aufging.

13. Vor und nach 2018: Business und noch 2 Bücher. Ich liebte das Lernen selber so sehr, dass ich mich in dieser Zeit gefühlt in hunderttausend Sachen auf einmal reinhängte, um neue Angebote zu stricken. Ich explodierte vor Ideen. Zwei davon landeten im zweiten Buch und dann im dritten Buch von mir (den Happy-Listen, immer noch als gefühlte Mogel-Autorin) und ich probierte neue Sachen aus, verwarf manches andere wieder und verstand immer besser, was es wirklich bedeutete, in diesem Land selbstständig zu sein. Mit allen Rechten und Pflichten. Freiheiten und Fisimatenten. Neue Praxisräume, wen einstellen oder nicht? Schwerpunkte – wohin geht meine Reise mit dem LernRAUM? Die einzige Routine war die permanente Veränderung. Aber was soll ich sagen: Ich liebte genau das. Nicht vielleicht immer mein Tempo, aber ganz bestimmt die Möglichkeiten.

14. Ab November ’21: Mein Long-Covid-Katalysator. Und mitten hinein in meine ganzen Vollgas-Überlegungen, die Liebe zu meiner Arbeit und der Lebenslust an sich, fuhr mich der Auslöser des globalen Ausnahmenzustands völlig unerwartet an die Wand. Diese zermürbende, monatelange Long-Covid-Phase wurde zur Chronik meiner Auflösung. Und irgendwann mittendrin dämmerte mir, dass ich vermutlich nicht wieder ins alte Leben zurückkehren konnte. Ich konnte es nicht mehr einholen.

Diese Aus-Erfahrung wirkte wie ein Katalysator, der all die tollen bisherigen Ideen und Pläne und Projekte und Perspektiven wegfilterte und stattdessen die Frage in Vordergrund meines Bewusstseins schleuderte: Was, wenn ich längerfristig nur noch 2-4 nutzbare Stunden am Tag zur Verfügung habe? Wofür genau will ich dann meine Arbeitszeit einsetzen? Was kommt weg, was darf bleiben, was fehlt? Kluge Fragen fürs Leben, die ich so ähnlich auch oft mit meinen Klienten bespreche und die ich aber nun selbst noch einmal mit völlig anderen Vorzeichen für mich zu beantworten hatte.

15. August ’22: Hello Chaos-Kompetenz! Meine bisherige Erkenntnis oder Antwort darauf lautet: Wenn ich mir selbst meinen kreativen Lebenslauf so ansehe, dann finde ich eine Menge Herausforderungen, Umwege und Veränderungen. Damit kenn ich mich aus. Mit den schwierigeren Dingen des Lebens klarzukommen, scheint die Spur zu sein, auf die ich gesetzt wurde und auf der ich immer noch unterwegs bin. Und diese Dinge stehen auf keinem Lehrplan, sind aber das, was unsere Innenwelt so dringend für eine tragfähige Zukunftsgestaltung braucht: Kompetenzen fürs Chaos des Lebens eben. Wie Mut und Ausdauer. Selbstreflexion und innere Stärke. Entscheidungsweisheit und Sinn.

Unterschwellig waren diese Dinge schon immer im LernRAUM-Mindset vorhanden, wenn wir uns den Weg zu erfolgreichen Abschlüssen und klugen Jobentscheidungen bahnten. Vielleicht dringe ich jetzt also nur zum Kern meiner Arbeit vor. Wer weiß. Aber auch wenn mit Post-Covid der Weg zurück auf Los noch weit ist, kann ich es schon aufleuchten sehen: dieses neue, geschärfte Etwas, das nach Veränderungen, Umbrüchen und An-die-Wand-gefahren-Erfahrungen sich irgendwann zeigt, wenn man danach sucht. Und vielleicht steckt ja auch Buch Nummer 4 in der Zukunft mit drin. Das wäre die Krönung, finde ich. Die übrigens auf Latein – passender könnte es nicht sein – „Corona“ heißt.