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Mein Weg zur schreibenden Chaos-Expertin

Aug 30, 2022 | Persönliches

Es gibt ja diese Idee des Jahresworts: Man wählt ein Wort, das als Leitstern über dem neuen Jahr stehen soll. Ich hatte mir Ende 2023 überhaupt nicht vorgenommen, danach zu suchen. Aber es war wohl die extreme Erfahrung meiner letzten 2 Jahre (die ich in 3 Teilen hier beschrieben habe: ), die mir so ein Wort quasi aufdrängte: Wiedergutmachung.

Ich fand, es war Zeit für eine Form von Wiedergutmachung. Für ein Trösten nach der Trauer des vielfältigen Verlusts, ein Aufatmen nach dem Ausnahmezustand, einen Schlussstrich unter den Schmerz. Und zwar unter der Sonne Südafrikas. Während der schlimmsten Schmuddelwintermonate im norddeutschen Zuhause.

Auch wenn bei solchen Hoffnungen und Wünschen selten im Voraus klar ist, ob sie aufgehen, kommt hier nun nach zweieinhalb Jahren meines Corona-Infernos der bunte Beleg, dass mein abenteuerlicher Auf-und-davon-Versuch (Fundraiser – DANKE an alle, die mitgemacht haben) der richtige Schritt zur richtigen Zeit war. Hurra.

Abflug in Hamburg Mitte Januar in Kälte und Dunkelheit. „Wie passend“, denke ich, als ich aus dem Fenster schaue und mir die Parallele zur Erfahrung von Post-Covid auffällt. Als hätte jemand den Strom für den eigenen Körper abgestellt und den Alltag in die kalte Finsternis geschickt, das Leben eingefroren.

18 Stunden später werde ich am Ziel beim ersten Schritt aus dem Flieger vom warmen Wind wie von einer Heizdecke umarmt. 34 Grad Celsius ohne eine Wolke. „Das ist zu viel“, stöhnt mein Taxifahrer, „wir sind hier nur die hohen 20er gewohnt.“ Aber ich spüre was anderes: Tauwetter in Knochen und Seele. Ich sauge die Schönheit entlang unserer Route auf und antworte lächelnd: „Entschuldigung. Ich hab das so bestellt.“ 

Hier also wohne ich erstmal: im kleinen Cottage direkt am Pool zwischen Palmen. Mit Blick auf Lagune und Ozean. Ich finde das so unglaublich, dass ich nach dem ersten Schlafen heimlich nochmal nachgucken muss. Doch. Alles noch da. Kein Traum. Nur traumhaft.

Die ersten Tage taumele ich selig nur zwischen Buffet und Bett hin und her, um meinem Körper die nötige Zeit zu geben, die Fluganstrengung zu verkraften. Aber es sind tatsächlich nur noch ruhige Tage, die er zum Erholen braucht. Keine Wochen oder Monate im Liegen mehr. Die Crash- und PME-Zeiten sind tatsächlich vorbei. Ich hüpfe vor Glück in den Pool.

Blüten so groß wie Hände, Farben besser als in jedem Filter, ein Horizont, der das Herz weit macht und das Donnern der ewigen Meeresbrandung vor diesem betörend blauen Himmel – in so einer Umgebung ist es wirklich so viel leichter, all das auszuhalten, was gar nicht so leicht ist.

Dann wird es mir bewusst, nach einer Woche vor Ort: Meine letzten Schmerzen sind völlig verschwunden. Mir tut einfach nix mehr weh, wenn ich aufwache. Das Stechen in den Muskeln, Sehnen, alles, was sich nach Mikroentzündungen in der Tiefe der Zellen angefühlt hat, ist wie weggeblasen. Ich bewege zur Sicherheit alle Gelenke einmal nacheinander durch. Tatsächlich. Jetzt will ich nur noch rennen.

Ich sprinte an den Strand und erinnere mich zu spät, dass das in Flipflops echt nicht gut geht. Aber es gibt diese Momente, da ist alles egal. Ich stoppe erst vor den Fluten des indischen Ozeans und lasse der Flut meiner Dankbarkeit freien Lauf. Ich schicke warme Gedanken an alle lieben Menschen um den Globus, die mitgeholfen haben, dass ich überhaupt hier stehen kann, und mein Herz singt Soli Deo Gloria. Ich wackel mit den Zehen, weil der Sand zu fest ist, als dass ich sie eingraben könnte. Da hallte es in mir nach: „Endlich. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen.“

Dann pendelt sich so etwas wie Auszeitalltag ein. Meine weitere Genesung hat dabei absolute Priorität. Und so lasse ich Beine und Seele baumeln, genieße Schönheit, gute Ernährung sowie sanfte Bewegung und stelle fest: Damit sind die Tage ausreichend gefüllt. Selbst die freiwillig auferlegte schöne Schreibarbeit am Morgen und Abend ist total nachrangig.

Aber immer wenn ich eine Zeitlang in kleinen Schritten stetig „vorangekommen“ statt „fertig geworden“ bin, belohne ich mich mit einem Ausflug – oder genauer: wage ich mich an einen heran. Die traumatischen Erinnerungen an die willkürlichen körperlichen Abstürze und deren elenden Folgen aus der Anfangszeit sitzen tief und ich brauche schrittweise neues Vertrauen in meinen Körper, der anders tickt als früher.

Aber er und ich lernen eine neue Art des Zusammenlebens. Ich mache erst halbe und später ganze Tagestrips. Merke ich einen Tag danach keine Verschlechterung von Energiezustand und körperlichem Befinden, gibt es in meinem Cottage ein kurzes Freudentänzchen. Und die konkrete Planung fürs nächste Highlight beginnt. Urlaub in der Wärme als Trainingslager – ich bin begeistert, dass mein Plan aufgeht.

Dass ich damit die wohl ungewöhnlichste Urlauberin im Ort bin, der sonst nur fürs Durchreisen bekannt ist, habe ich erwartet. Und wenn ich auf verwunderte Nachfragen erzähle, dass ich zum Schreiben hier bin und die Gegend schon kenne, kommen alle anderen damit offenbar auch besser klar. „Super Alibi, Annette“, lobe ich mich selbst für diese clevere Erklärung, die gar nicht unwahr ist, aber es mir erspart, meine letzten 2 Jahre und meine Art des Reisens erklären zu müssen …         

Auf meinen Unternehmungen erwarten mich diverse kleine und große Überraschungen: Im Nationalpark um die Ecke klettere ich mit Begeisterung über Bohlenwege, die die heimischen Sicherheitsvorkehrungen verhöhnen, fahre auf Flößen, wate durchs Flussbett, sehe den kobaltblauen Eisvögeln hinterher, die an mir vorbeizischen, und kann das alles gar nicht glauben.

Denise übrigens auch nicht. „D“ ist die Chefin meines Zuhauses auf Zeit und schüttelt jedes Mal ungläubig den Kopf, wenn ich ihr berichte, dass ich schon wieder eine Einzelführung hatte. „Annie, hier ist Hochsaison. Wie kann das angehen, dass du bei den Gruppenausflügen, die du buchst, fast immer die einzige Teilnehmerin bist und quasi eine Privatführung von den Rangern bekommst? Das hab ich noch nie gehört. Du Glückspilz!“

Weil ich auch nicht weiß, was ich darauf antworten soll und das Staunen und die positive Überwältigung hier fast schon gewohnt bin, stelle ich schmunzelnd die wilde wie wunderschöne Vermutung auf: „Die gute Macht muss mit mir sein.“ Ich fühle mich tatsächlich von Gnade und Güte verfolgt – und eingeholt. D nickt nur stumm. Natürlich. Was soll das auch sonst sein. 

Mir kommen diese Momente wie die Gegenbewegung zur Verlusterfahrung meiner Corona-Erkrankung vor, in der mir alles unaufhaltsam durch die Finger rann: Gesundheit, Arbeitskraft, Finanzen, Sozialleben. Und auf einmal ist da nicht mehr Ebbe, Rückzug, das totale Verschwinden, sondern Flut, Schwemme, Überfluss. Das Gute kommt zurück. 

Auf einer Flusstour – natürlich wieder nur der Skipper und ich – haute es mich fast um. Es ist der Klang der Stille, der hinter dieser einen Biegung über uns hereinbricht. Wir stellen den Motor ab. Hier hält die Welt die Luft an, als stülpte sie uns eine Glocke über, die jedes Geräusch restlos verschluckt. Wir gleiten lautlos übers Wasser und ich komme mir vor wie in einem abgeschirmten, tonlosen Raum. Die Natur setzt mir hier ihren Noise-Cancelling-Kopfhörer auf – und dreht jetzt voll auf:

Das leise Gurgeln des Wassers, das unser Boot begleitet, ist plötzlich viel lauter, klarer, reiner als vorher. Der Schrei des Vogels in der Ferne klingt so nah, dass ich kurz zusammenzucke. Neben mir ein Flattergeräusch, so dass ich auf meinem Sitz intuitiv zur Seite rücke. Ach, das war doch nur der Schmetterling am Ufer. Mein Hörsinn läuft Amok, mein Herz zerspringt. Ich sitze selig wie vor einem unsichtbaren Verstärker und lausche dem Sound der Schöpfung.
Dieser umwerfend schöne Moment ist wie ein Geschenk, von dem ich nicht wusste, wie sehr ich es brauchte. Er gewinnt mein Herz für dieses Leben zurück – und ich atme sie ganz tief ein: die Wiedergutmachung für meine Seele.

Was soll jetzt noch kommen? Nun ja. Elefanten. Meine all time favorites! Als ich dem Nachhall meines Fluß-Glücks ein paar Tage lang gelauscht habe, bin ich bereit, mein absolutes Highlight in Angriff zu nehmen: Auf zur Pirsch!  

Schon die Anreise zur Game Lodge, die den Eingang des Wildparks markiert, ist ein Erlebnis. Der „Finebos“ blüht so lila wie die Lüneburger Heide und die Rezeption ist thematisch passend dekoriert. Denke ich. Bis sich der bis dahin reglose silbergraue Dekovogel kratzt. 

Wieder bekomme ich den Frontsitz ab und habe Ted neben mir, der glücklicherweise große Lust hat, mir als Wissenslexikon für all die Fragen zu dienen, die aus mir rauspurzeln. Wenn es mir nicht gerade vor lauter Faszination die Sprache verschlägt.  Da. Zebras!

Babygiraffen sind bereits 1,80m groß, wenn sie auf die Welt kommen, lerne ich. Dieser Mama-Giraffe gehört entsprechend meine Bewunderung. Das Wetter ändert sich in dieser Gegend schnell und dramatisch, so dass ich vom Himmel so abgelenkt bin, dass ich fast die Antilopen verpasse. Sie erheben sich in der Ferne gerade in dem Moment aus dem Gras, als wir entlangrumpeln. Lieben Dank fürs Posieren.  

Und dann ist es soweit. Wir haben gerade mit Allradantrieb und viel Geschaukel ein Flussbett durchquert und steuern die dahinterliegende kleine bewaldete Anhöhe an, als er auf der Kuppe wie aus dem Nichts vor uns auftaucht. Ein Elefant. Die Zeit steht für einen Moment genauso still wie er und mein Herz. Dann wendet er uns gänzlich ungerührt seinen Hintern zu und entwurzelt einen Baum.         

Weil es nicht meine erste „Pirschfahrt“ ist und Elefanten Herdentiere sind, vermute ich, dass in der Nähe noch mehr sind. Ted nickt und deutet nach hinten. Da kommen sie.

Diese Tiere hört man nur, wenn sie Bäume zerlegen. Und streng genommen ist das nicht ihr Geräusch, sondern das von berstendem Holz. Ansonsten bewegen sich diese Riesen nahezu lautlos auf ihren flexiblen Sohlen, ohne irgendwas zu zerbrechen, haben ein unfassbares Gedächtnis und sind sehr soziale Wesen. Die Kombi fand ich schon immer sympathisch.

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2 Kommentare

  1. Alexandra

    Genial, liebe Annette. Fesselnd zu lesen und amüsant zugleich. Zutiefst ehrlich. Und du machst vor, was es heißt, aus Krisen zu wachsen, das Gute in ihnen zu erkennen. (Auch wenn ich immer damit hadere, dass es wohl immer so hart sein muss, bis man das Gute ernten kann – wäre es nicht auch anders gegangen…?!?!)

    Ich bin gespannt, was kommt.

    LEBE, liebe Annette. Für dich und ein bisschen für uns. Weil wir so viel von dir lernen können.

    Einen dicken Gruß und die liebsten Wünsche an dich,
    Alexandra

    Antworten
    • Admin_Annette

      Ich bin mir dir gespannt, Alexandra … 🙂 Herzlichen Dank und dicken Gruß zurück!

      Antworten

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