0451-599 88 638 lernraum@annettepenno.de

Manchmal werde ich gefragt, ob ich gar keine Angst hätte, wenn herauskommt, dass ich immer wieder ganz alleine in den Urlaub fahre, ohne Begleitung essen gehe, spät abends herumspaziere oder auch mal einen sicheren Job aufgebe, wenn mir danach ist – oder es mir einfach das Richtige zu sein scheint. Dann muss ich fast schmunzeln: Ich und angstfrei?

Als Kind hatte ich so viel Angst, dass ich kaum alleine schlafen konnte, es in einem Raum ohne Begleitung nicht gut aushielt und viel gruseligen Kram träumte. Und auch jetzt erlebe ich immer wieder mal einzelne Situationen, dir mir so einen Schrecken einjagen, dass ich drauf und dran bin zu glauben, von der Welle der Angst verschlungen und nie wieder ausgespuckt zu werden.

Doch mittlerweile kann ich standhalten, wenn sie anrollt und meine Seele fluten will. Denn ich habe ein paar Anker gesammelt, die helfen können, sich für die Wucht der Angst zu wappnen und ihr die Stirn zu bieten:

Anker 1: Schutzfunktion

Wenn ich weiß, dass Angst einfach zum Leben dazugehört und auch immer eine Schutzfunktion hat, kann ich fragen: Welche positive Absicht hat meine konkrete Angst in dieser bestimmten Situation? Wovor möchte sie mich schützen? Mit den Antworten aus dieser Perspektive heraus kann ich überlegen, was ich tun könnte, um mich zu entlasten. Ich erweitere damit meinen Handlungsspielraum – was super ist, weil Angst sonst gern dazu neigt, unser Denken abzuschalten.

Anker 2: Body Check

Unser Körper speichert über seine Haltung auch unsere Gefühle ab. Wenn ich mich gut fühlte, habe ich eine andere Spannung oder Aufrichtung, als wenn ich bedrückt und verängstigt bin. Ich checke meine körperlichen Stress-Signale (wie Herzrasen, Übelkeit, Zittern …) und atme mehrfach tief durch. Dann frage ich mich: Wie möchte ich mich gerne fühlen? Welche Körperhaltung kann ich dafür einnehmen? Welcher Moment kommt mir in Erinnerung, an dem ich mich gefühlt habe, wie es jetzt schön wäre? Diesen Moment male ich mir mit allen Sinnen aus – ich steigere mich im positiven Sinne richtig hinein, bis meine Stress-Signale nachlassen.

Anker 3: Gedankenputz

Ich checke meine Gedanken ab, die mit der Angst auftauchen:

  • Welche sind das genau?
  • Gibt es eine Lüge, die sie mir auftischen wollen? Welche Unwahrheit oder Halbwahrheit versteckt sich in ihr?
  • Was kann ich dagegen halten?

Alle Gedanken, die mir als Gegenmittel einfallen, schreibe ich gut lesbar auf Zettel und platziere sie an einem Ort, auf den mein Blick häufig fällt.

Anker 4: Bilder löschen

Diese schöne Methode hab ich bei Bestseller-Autorin Stefanie Stahl gefunden: Sich ganz aufs körperliche Gefühl der Angst fokussieren – wie „den Kloß im Hals“, „die Enge in der Brust“ oder das “Herzklopfen“. Dann alle Bilder und Erinnerungen, die zu diesem Gefühl gehören, aus dem Kopf verbannen, indem man sie löscht. Das geht, indem man sie gedanklich schwarz übermalt. Wie mit einem fetten Edding. Dann mit der Aufmerksamkeit beim körperlichen Gefühl bleiben. Fast immer kann man dann spüren, das sie sich recht schnell auflöst oder verringert.

Es kann auch helfen, sich die Angst wie eine skalierte Drucksäule in sich vorstellen, die man zusammen mit der Atmung bewusst nach und nach aus dem Körper entweichen lässt. Dazu atmet man sie sozusagen runter – von einer maximalen 10 oder 9 auf die 8, die 7, dann auf die 6 usw, bis man den Rest zusammen mit einem großen Seufzer aus dem Körper ausschüttelt.

Anker 5: Ablenken

So banal es klingt: Ablenkung ist immer noch eine sehr wirksame Hilfe, um aus akuten, lähmenden Angstgefühlen herauszukommen. Das liegt daran, dass unser Gehirn nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun kann. Wenn unsere Aufmerksamkeit von etwas in unserer Außenwelt gefesselt ist, können wir uns nicht als angstvoll erleben.

Hier kann mich sich eine Aufgabe stellen, die den ganzen Fokus fordert: eine Wasserski-Stunde nehmen, irgendwo balancieren oder von jedem Anfangsbuchstaben der Gegenstände in der direkten Umgebung einen Namen finden … alles, was meine gesamte Wahrnehmung fordert.

Anker 6: Worst-Case-Plan

Erfahrungsgemäß ist die Urangst aller Ängste der Gedanke, dass wir mit einer erschreckenden Situation nicht klarkommen werden. Was ist, wenn dies oder jenes wirklich passiert …? Oft bleibt diese Frage ohne Antwort, weil uns die reine Vorstellung in Panik versetzt. Aber unser Gehirn gibt keine Ruhe, bis es nicht eine Antwort gefunden hat. Daher kann es hilfreich sein, einen konkrete Handlungsplan fürs persönliche Worst-Case-Szenario zu finden, indem man die Frage nicht wegschiebt, sondern in sicherem Abstand wirklich für sich zu Ende denkt und beantwortet.

Also schauen ich dem Feind ins Auge: Was genau wäre dann? Was könnte ich dann immer noch tun? Was würde mir helfen und wo finde ich diese Hilfe? So sammeln wir Ideen und Handlungsalternativen, die verschüttet bleiben, wenn wir diese Frage wegschieben. Das Gedanken- und Gefühlskarussell in uns kann sich beruhigen, weil wir nicht mehr hilflos sind, sondern gewappnet für den Fall der Fälle.

Anker 7: Innerer Helfer

Wer die Vorstellung einer liebenden und wohlwollenden Stimme in sich etabliert, kann stärker durch Krisen aller Art hindurchgehen. Das können Stimmen aus der Erinnerung sein wie ein liebevoller Großvater oder die beste Freundin – oder auch Gott, wenn man glaubt. Ich stelle mir also vor, dass mein Helfer immer zur Stelle ist, wenn ich ihn brauche, er mich nicht alleine lässt und beruhigt. Das ist nicht nur gut für Geist und Gefühl, sondern auch gesund fürs Gehirn.

Daher habe ich in Sachen Angst eine Entscheidung zu treffen. Ich kann und sollte (weil es schlicht das beste ist) mich bewusst entscheiden, mit den Gedanken der Angst nicht mitzugehen und ihnen schon gar nicht zu glauben. Sich aktiv gegen sie zu stellen, ist möglich – bewusste Selbstwahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle vorausgesetzt. Aber dann ist man sicher „geankert“ und die Flut der Furcht kann kommen, ohne einem den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Dieser Text ist zuerst im Printmagazin Joyce (3/2021) erschienen und wurde für diesen Blog angepasst.