Mehr Freude, bitte!
Am besten so auf Knopfdruck. Oder auch durch ein Einhorn, das vorbeigeflogen kommt und uns diesen Wunsch erfüllt. Aber wir sind ja erwachsen und glauben nicht daran. Schade. Dabei wäre es doch so fantastisch: Einmal Schalter umlegen – und schon ist der graue Montagmorgen ein Geschenk, weil man feststellt, dass grau echt eine tolle Farbe ist; das Gezanke der Kinder macht einem nur neu bewusst, wie schön es ist, sie überhaupt zu haben, und das überflüssige Gestichel des Kollegen im Büro perlt nur so an einem ab, weil man sich verhalten kann, als hätte man ausgiebig in Teflon geduscht und nichts und niemand könnte die Stimmung trüben …
Welch glückliche Vorstellung! Wir hätten quasi eine Gute-Laune-Flatrate, Freude zum Streamen. Dann wäre das Leben doch endlich irgendwie leichter, heller – so mit mehr Alltagsglück. Es wäre in seinen dunklen Momenten heller, in seinen schweren leichter. Und dann würden wir uns alle aus der zeitweiligen Überanstrengung oder Unterforderung oder Tristesse oder Katastrophe mit links befreien. Richtig?
Das Problem mit dem Gefühl
Vermutlich … nicht, fürchte ich. Denn so oft fühlt es sich einfach nicht richtig an, sich zu freuen. Wir fühlen uns ja nach allem Möglichen, aber doch nicht nach Freude, wenn beim bis eben noch friedlichen Familienessen der Streit über Belanglosigkeiten ausbricht, wenn man nach einem tollen Wochenende der nächste Arbeitstag gleich mit einer kritisierenden Email aufwartet, das Auto nicht anspringt oder die Freundin anruft und eine verstörende Nachricht loswerden muss, oder? Es scheint oft der Situation nach nicht angemessen zu an, sich einfach trotzdem zu freuen. Wir warten damit lieber, bis sich alles irgendwie beruhigt hat oder runder ist oder – je nach Persönlichkeit – auch das letzte Haar aus der Suppe gefischt ist. Dann fühlt es sich gut an. Und genau das ist der Punkt. Ich behaupte: Mit unserem Gefühl stimmt etwas nicht.
Abhängig vom Außen
Klar, wenn alles toll ist und das Leben gerade eine Hochglanzstrecke bereithält, bringt uns der körpereigene Dopamin-Cocktail, den unser Gehirn bei fröhlichen Anlässen ausschüttet, ganz von alleine in Stimmung. Aber wie das so mit allen Hormonen ist, sind sie ja bekanntlich Schwankungen unterlegen und nicht besonders standhaft. Der umstandsabhängige Glücksrausch verhält sich da eher wie schlechte Gesellschaft: launisch, unbeständig und addiktiv – inklusive Absturzgarantie, sobald sich die Lebensumstände ändern. Dann ist die Stimmung im Keller. Tja. Da hätten dann die von uns echt Pech, die einfach Pech haben im Leben.
Das Innen entscheidet
Da ist aber nicht alles – Gott sei Dank! Und das ist hier ganz wörtlich gemeint. Unser Gehirn ist auf wundervoll-göttliche Weise so geschaffen und ausgerüstet, dass unser Körper auch bei Tiefschlägen, Pechsträhnen oder Langeweile immer noch diesen wohligen drogenähnlichen Serotonin-Endorphin-Adrenalin-Mix produzieren kann. Wenn wir mit unseren grauen Zellen richtig umgehen.
Wollen wir auch mitten im Alltagsgrau oder in stürmischen Zeiten Freude erleben – also die mit dem verlässlicheren, beständigeren und von Umständen unabhängigem Charakter im Vergleich zum wankelmütigen Glücksgefühl – bietet uns unser Gehirn gleich zwei Möglichkeiten:
- Wir können vergangene positive Gefühlszustände abrufen, die bereits in unserem Gehirn abgespeichert sind. Das nennt man landläufig „erinnern“.
- Wir können uns das, was wir uns an positivem Erleben noch so wünschen, mit allen Sinnen möglichst konkret ausmalen. Das nennt man landläufig „vorstellen“.
Die rückwärtsgewandte Erinnerung und die vorwärtsgerichtete Vorstellungskraft (auch unter Fantasie bekannt) sind die Wege, um unabhängig von der momentanen Lebenssituation mehr Raum für Freude zu schaffen. Alles, was dafür nötig ist, ist unsere Entscheidung, sich entweder an etwas Gutes zu erinnern – was nebenbei auch gleich dankbar macht und noch weitere positive Gefühle freisetzt – oder sich etwas Schönes auszumalen. Denn das, woran wir denken, bestimmt, wie wir uns fühlen. Immer.
Gedanken mit Gepäck
Das kann man sich so vorstellen: Alles, was uns so im Kopf herumwandert, hat – wie es sich für echte Wanderer gehört – einen Rucksack dabei. Und in dem steckt immer ein dazugehöriges Gefühl. Probieren Sie es einfach mal aus. Steigern Sie sich mir zuliebe doch mal so richtig schön eine Minute lang in einen der folgenden Sätze hinein – oder in einen negativen aus ihrem eigenen Bewusstseinsvorrat, der für Sie besser passt:
Schon wieder Regen!
Heute liegen die Haare aber wieder mal richtig scheiße …
Warum erwische eigentlich immer ich die tranigste aller Kassiererinnen?
Ich bin so blöd! Warum habe ich nicht einfach nein gesagt?
Naaa? Sie wissen sicher, was ich meine. Negative Gedanken führen zu einem negativen Gefühl – und fast immer übrigens auch zu einer ebensolchen Handlung. Wenn wir uns freudlosen Gefühlen ausgeliefert fühlen und das Stimmungsloch anhält, dann können wir aber herausfinden, wer der verantwortliche Gedanke ist. Und haben wir ihn erst identifiziert, muss er mit einem positiven ersetzt werden. Natürlich ist das nicht so instant zu haben, wie es sich hier liest. Aber: Es ist erlernbar! Weil wir denken können, was wir wollen. Allein wir entscheiden, welche Gedanken sich in uns länger aufhalten dürfen. Nicht die Umstände. Es bleibt immer einzig und allein unsere Wahl. Und auch unsere Verantwortung.
Gute Wege bauen
Weil wir aber oft gewohnt sind, uns auf die negativen Dinge zu konzentrieren, fällt ein spontanes Umdenken unserem Gehirn erst einmal schwer. Denn unsere Gedanken hinterlassen Spuren in unserem Gehirn, sogenannte neuronale Bahnen, die mittlerweile auch mittels MRT sichtbar zu machen sind. Je öfter wir dann so einen Gedanken ausdenken, desto fester wird diese Bahn – wie ein Trampelpfad – und es ist ein Denkmuster entstanden. Und da auch unser Gehirn am liebsten energiesparend arbeitet, löst eine unerwünschte Situation dann den bestehenden Denkweg aus: negativer Auslöser, negativer Gedankenpfad, negatives Gefühl. Oft kommt es einem mühsam, womöglich auch sperrig und künstlich vor, etwas anderes zu denken, weil es dafür im Gehirn noch keine Spur gibt. Aber wenn man bewusst – in der Regel 30 Tage lang – einen positiveren Gedanken wählt, entstehen neue Bahnen. Die im wörtlichen Sinne bahnbrechende Erkenntnis daraus ist: Durch unsere bewussten Entscheidungen darüber, etwas Positives zu denken, können wir die Strukturen im eigenen Gehirn so verändern, dass frohe Gefühle ausgeschüttet werden. Und je öfter wir das tun, desto leichter gelingt es.
Richtig abbiegen
Beim banalen Regenbeispiel von oben sieht das bei mir dann etwa so aus: „Es regnet … wunderbare Gelegenheit, heute meine gepunkteten Gummistiefel anzuziehen!“ Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Würde ich denken, „Oh, Regen! Das ist aber toll, ich liebe Regen!“, wäre das selbstverständlich absurd. Ich mag Regen nicht. Und daran ändert auch ein positiver Gedanke nix. Es geht also nicht darum, sich etwas einzureden, was man sich sowieso nie glauben würde, sondern etwas zu finden, was einen im Kopf positiv abbiegen lässt. Eine frohe Stimmung ist damit nicht abhängig von unseren Umständen. Sie entsteht abhängig von dem, was wir über die Umstände denken! Sie ist eine Lebenseinstellung, eine Haltung. Ich wiederhole mich: eine Entscheidung.
Bewusst denken
Diese Entscheidung ist nun nicht besonders kompliziert, aber deswegen ist sie noch lange nicht leicht. Manchmal verlangt sie mir sogar alle Kraft ab, die ich aufbringen kann. Wenn ich höre, dass sich der Sohn von Freunden das Leben genommen hat, wenn ich mitbekomme, dass der Krebs zurückgekommen ist, oder ich erlebe, wie ein lang gehegter Traum wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzt, dann will ich erschüttert, fassungslos oder wütend sein. Erst mal. Aber ich merke auch immer wieder, dass mir meine Gedanken, die diesen Gefühlen vorausgehen, auf Dauer nicht gut tun. Denn sie tragen keine Hoffnung im Rucksack. Ganz im Gegenteil. Sie ziehen mich tiefer in die Dunkelheit. Und da will ich nicht hin. Dann suche ich nach Mutmachern, Hoffnungsträgern und Gründen zur Dankbarkeit, die mich ans Licht ziehen. Dabei stoße ich spätestens ganz zum Schluss immer auf meine Überzeugung, dass mein Leben auch dann noch in guten Händen gehalten ist, wenn nichts mehr geht. Dieses Gottvertrauen gibt mir Auftrieb.
Was ist es bei Ihnen? Was hält sie auf der Hoffnungsspur? Überlegen Sie einmal.
Frohsinn etablieren
Wenn die Mutmacher identifiziert sind, kann die Waage der Wahrnehmung kippen – in Richtung Hoffnung und Freude, weil ich mich bewusst auf das stütze, was mich froh, dankbar und hoffnungsvoll macht. Immer öfter und schneller erlebe ich, wie die Emotionen folgen. Wie wir gedanklich auf eine bestimmte Situation reagieren, entscheidet also, welches Gefühl nachzieht. Deswegen rede ich, wenn es um Freude geht, gerne von Frohsinn. Weil in diesem Wort drinsteckt, dass das ganze Geheimnis ist, den Sinn auf alles Frohmachende zu richten. Sozusagen bewusste Gedankenhygiene zu betreiben. Denn auch in der furchtbarsten Situation haben wir das Privileg zu entscheiden, von welchem Blickwinkel heraus wir reagieren wollen. Niemand ist seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert. Macht uns etwas wütend, haben wir die Wahl, uns zu ärgern und alle zugehörigen Gedanken weiterzufolgen, wenn wir das wollen– oder eben auch nicht. Ärgern kann man sich auch noch später. Fokussieren wir uns lieber auf das, was das Potential hat, uns froher zu stimmen. Auch wenn man es manchmal suchen muss.
Nicht gleich aufgeben
Aber dann tue ich eben genau das: Ich halte inne, um wahrzunehmen, welche Gedanken in mir kreisen. Ich entscheide, welchen ich davon weiterdenken will. Notfalls suche ich bewusst nach einer positiven Alternative und richte meine innere Aufmerksamkeit darauf. Das ist übrigens nicht für einen frohen Lebensstil gut, sondern auch gesund! Jeder weiß, dass die Heilungschancen von Patienten um ein Vielfaches steigen, wenn ihre Haltung positiv ist. Und eine Hirnforscherin erzählte mit neulich, dass 80% der seelischen Erkrankungen auf ein negatives Gedankenleben zurückzuführen sind …
Und jetzt erst recht
Und manchmal tue ich noch etwas, nach dem mir oft überhaupt zu Mute ist. Etwas, das mir auch eine Bloggerin auf ihrem stylischen Motto-Schnickschnack zuruft: „Don‘t forget to hüpf!“ Wenn ich hüpfe, tanze, singe, lächele oder andere Dinge mit meinen Sinnen tue, die ich mit einem guten Gefühl in Verbindung bringe, gerade wenn mir gar nicht danach ist, schaltet sich mein sogenanntes Körpergedächtnis an: Dann werden durch diese Tätigkeiten alle damit verknüpften Gefühle wachgerufen. Ich öffne quasi eine Stimmungskonserve. Überlegen Sie mal, was bei Ihnen funktionieren würde: Fotoalben gucken, Lieblingssong hören, eine leckere Tasse Latte Macchiato trinken, jemanden in den Arm nehmen, dem Meeresrauschen lauschen, am frischgekochtem Griesbrei schnuppern …?
Tun wir doch mehr von dem, was uns froh macht. Und denken wir mehr Gedanken, die uns weiter auf den Weg der Freude im Alltag bringen. Womöglich wird dann die Idee mit der Teflon-Dusche doch noch Wirklichkeit? Prima … diese Vorstellung bringt mich jetzt glatt zum Schmunzeln.
Annette Penno