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Im Mai 2024 gab es bei mir ein rauschendes Fest aus drei guten Gründen: 10 Jahre LernRAUM Lübeck, ein angefangenes Buchprojekt von mir – und der Stand meiner bisherigen Post-Covid-Genesung, unfassbare zweieinhalb Jahre nach meiner Infektion und der nachfolgenden Corona-Chronik.

Das war ein mächtiger Meilenstein. Herrlich, aber auch bittersüß. Weil der Weg zur Selbstverständlichkeit des Alltags immer noch so weit scheint. Und weil es vielen anderen immer noch so viel schlechter geht als mir.

Für meine Lesung, die es auf dem Fest gab, habe ich unter anderem die folgenden Zeilen verfasst. Eine Aufnahme gibt es nicht. Daher kommt hier nun der Text. Ihr tapferen, alltagsverschwundenen, aber immer noch sehr existenten Post-Covid-Veteranen da draußen – ihr seid in meinem Herzen. Und all jene heldenhaften Wesen, die an unserer Seite mit ausharren und den langen, schweren Weg mitgehen – ihr seid wie Licht im Dunkeln.

Das ist für euch.

 

Wir sind viele

 

Wir sind viele, aber wir fallen nicht auf.
Wenn wir unsichtbar kämpfen, mit gedämpftem Geist
hinter verschlossenen Türen in stillen Zimmern,
gegen diesen unheimlichen, unbekannten Kontrahenten.

Wir fallen nicht auf, wenn wir in den 3 bis 30 guten Minuten am Tag
endlich den Müll raustragen, der da schon seit Monaten lagert,
angeschimmelt und stinkend, und dann kurz den Nachbarn winken:
Hallo, alles klar, danke und selbst?
Was soll man auch sagen, man kann ja nicht denken.
Und so wanken und sinken wir zurück auf die Couch,
das Bett, den Boden, oder was halt grad da ist.
Das wars dann für heute, Schluss, aus, gute Nacht
und kein Schlaf wartet bis zum Morgen um 8.

Wir vegetieren in den Räumen dazwischen
sind erst gelähmt von Fatigue und dann auch vor Schreck,
sind ans Liegen gefesselt vom letzten Crash,
gequält vom willkürlichen Wahnsinn wechselhafter Symptome
einer unerforschten Erkrankung und von der Kränkung der Ignoranten,
die viel weniger wissen als wir
und uns doch immer noch nicht glauben.
Wir würden schnauben vor Wut
wenn wir die Energie dafür hätten
Aber das geht halt nicht gut.

Wir sind viele und wir verlieren unsere Welt.
Nicht bloß die Gesundheit, die Arbeit und dann das Geld,
auch unsere Hobbys oder so manchen Begleiter.
Aber all das liest sich in der Hektik am Morgen
bloß wie eine lästige Statistik
auf Seite 5 oder so in der örtlichen Presse
und eins auf die Fresse zum Frühstück-
wer will das schon, da geht man lieber schnell weiter.

Wir verlieren, was wir lieben und das bricht uns das Herz
Es ist zu viel Schmerz neben dem in den Knochen, Muskeln und Gelenken.
Und wenn wir dann schon im Gedenken
ans verlorene Selbst unseren Abgesang anstimmen
dann geraten wir so richtig ins Schwimmen
dann wird die Luft dünn, dann ist es dunkel und kalt
plötzlich sind wir uralt und wir verstehen selbst nicht
was da grade geschieht.
Wir sind Gefangene, gefoltert vom kranken Körper,
dafür fehlen jedem Lexikon die passenden Wörter

Wir sind viele, aber wir sind nicht allein.
Denn es gibt sie, den ewig Treuen und die freundliche Fremde,
die Helfer, die Forscher, die tröstenden Hände,
die alle antreten, um diesem Riesen die Stirn zu bieten.
Und das klingt nach Hoffnung,
Sonnenaufgang und einem Strauß roter Rosen.
Es befeuert den Widerstand von uns Wehrlosen
dieses trotzige, leise Nein und sei es noch so klein
gegen das drohende Aufgeben, Auflösen und Verschwinden.
Das injiziert uns Mut für die nächsten Stunden
und ich frage mich: Fängt so nicht alles wieder an
nach dem Verlust, dem Zerbruch, dem großen Inferno,
wenn sich der Rauch verzieht und die Ruine offenliegt
mit einem winzigen Schritt
zurück in Richtung anderes Glück irgendwo?
Also rufe ich es aus, wieder und wieder:

Wir sind viele, und wir geben nicht auf.
Wir erobern uns Stück für Stück unseren Alltag zurück
einen anderen, einen neuen vielleicht,
wahrscheinlich sogar, gezwungener Maßen.
Aber egal, wie lange es dauert und wer da so mauert
in Politik und Gedanken, wir geben nicht auf
und senden zuhauf unsere Liebe an die,
die dokumentieren, berichten, zur Heilung forschen und lehren,
denn könnte das nicht das Wunder vermehren?

Daran will ich glauben, an das Licht im Dunklen,
das Prinzip Hoffnung, die Auferstehung, das Leben danach.
Noch liegen wir brach, aber eines Tages,
wer weiß, sind wir weg vom „lebendig begraben“
und haben den Zauber des Lebens wieder im Gepäck
wie Kinder nur mit dem Wissen von Überwindern
und feiern ein Fest der Veteranen, laut lachend oder noch benommen,
mit allen, die mit uns sagen: Bis hierher sind wir gekommen.